Takis Würger Inger-Maria Mahlke Hauser und Tiger

Takis Würger & Inger-Maria Mahlke – Zwei Eigenbrötler und Tucholsky

So war’s bei der ‚Hauser & Tiger’ Lesung mit Takis Würger und Inger-Maria Mahlke am 18.05.2018 – Es folgt ein unvollständiger Bericht inklusive kurzem Rant über die junge Berliner Literaturszene, meinen halbernsten Persönlichkeitsanalysen der beiden writer* und deppaten Fragen.

 

Ich mag keine Menschen.

Ich fahre direkt nach der Arbeit zum Kallasch&, mit dem Fahrrad bin ich schnell da. Tracy, meine Begleitung, kommt ein wenig später, weil sie sich verfahren hat (kenn ich nur zu gut). Macht nichts, denke ich. Das sind doch alles literaturinteressierte Menschen, mit denen wird man sich bestimmt unterhalten können.

Ich komme also da hin und merke schnell: Die Rechnung geht nicht auf. Schlimm ist natürlich auch, dass ich, die normalerweise immer und überall zu spät kommt, heute überpünktlich und eine der ersten bin. Keine Menschenmengen, in denen man untertauchen kann, und mein Buch habe ich auch zu Hause vergessen, kann mich nicht einmal lesend in eine Ecke verziehen.

Ich mag keine Menschen, sag ich immer. Das stimmt natürlich nicht. Was ich nicht mag, sind Ansammlungen von Menschen, die ich nicht kenne oder nicht gut kenne und bei denen ich nicht weiß, wie ich mich verhalten soll. Beruflich kann ich das, da stell ich mich zu jedem hin, spreche über dieses oder jenes, setze eine Maske auf (Props an Erik, der vor der Lesung mit einer Adlermaske herumläuft) und ziehe eine Schutzfolie auf, hinter der ich mich verbergen kann. Dann ist alles nur Show, ich selbst bleibe im Hintergrund, verfolge Business-Ziele, versprühe Charme und Esprit. Aber stell mich als Privatperson irgendwo hin und ich bin die Unbeholfenheit in Person. Ich fühle mich fehl am Platz, weiß nicht wohin mit mir, weiß, dass ich mich in Gespräche eingliedern sollte, will aber eigentlich allein sein und beobachten. Alle sind nett, aber ich bin auch die einzige, die keinen kennt, in dieser Gruppe von jungen Leuten, die sich alle aus der Uni oder sonstwoher kennen. Alle sind sie schwarz gekleidet und begrüßen mich freundlich, wollen aber nicht wirklich mit mir reden, weil keiner Bock auf belanglosen Smalltalk mit einer Fremden hat. Ich ja auch nicht, I get it.

Und du bist eine Freundin von Takis?, fragt mich wer.

Wir haben uns einmal kurz getroffen, da hat er mich zur Lesung heute eingeladen.

Achso, sagt die Person und ich merke, wie ich plötzlich uninteressant bin.

 

Der eine fehl am Platz, die andere zero fucks given

Was mich einigermaßen beruhigt ist, dass es Takis Würger ähnlich zu gehen scheint wie mir. Auch er steht mal hier, mal da, kennt zwar viele ein bisschen, aber keinen so richtig gut. Er wirft random irgendwelche Sachen in den Raum, sobald eine kurze Stille entsteht, merkt, dass es nicht passt und entschuldigt sich zur nächsten Gruppe. Auch er wirkt fehl am Platz, so als wäre sein natürliches Umfeld woanders, ein leerer Park in der Nacht vielleicht, ein Ufer in der Dämmerung, eine verlassene Seitenstraße. Irgendwann entschuldigt er sich nach drinnen und ich beneide ihn ein bisschen, dass er eine Ausrede hat, sich zu verdrücken, die Lesung vorzubereiten oder Plätze zu reservieren.

Ein Paar, etwa um die 40, steigt aus einem Auto und wird begrüßt. Ich nehme an, es ist die andere Autorin, die heute liest, ich weiß es aber nicht. Sie geht direkt hinein, kümmert sich nicht wirklich um die Leute, die vor der Bar stehen, und wirkt so, als würde sie genau hier her gehören. Zero fucks given. Von Inger-Maria Mahlke habe ich davor noch nie gehört, aber wenn sie das ist, ist sie mir direkt sympathisch.

 

Grabt den Klappstuhl aus!

 Als wir unsere Plätze einnehmen, ist der hintere Raum im Kallasch& ziemlich voll, wir müssen uns zwei Klappstühle aufstellen. Vor mir sitzen einige Leute, die mir die Sicht versperren. Trotzdem ist die Atmosphäre gemütlich in dem halbdunklen Raum mit den rötlichen Lichtern.

Es beginnt.

Kai von der Buchbox aka Blinkybrill aka der nette Berliner Hipster-Typ mit den Tattoos und der Brille, mit dem ich mich davor schon so halb nicht unterhalten habe, eröffnet die Lesung. Etwas stockend, aber mit Überzeugung liest er einen Text von Tucholsky, in dem es um telefonierende Männer im Restaurant geht. Oh shit, ich hab mein Handy gar nicht auf lautlos, zischt Tracy neben mir. Mission accomplished, würde ich sagen.

Kai übergibt seinen Platz auf der Bühne einer der Veranstalterinnen. Das war ein Text von Tucholsky, weil die Lesereihe Hauser & Tiger Tucholskys Literaturzugang zum Vorbild habe. Es gebe auch zu jedem verkauften Buch einen Shot.

 

Von schlechten Boxern und knallpinken Strumpfhosen

Zum Auflockern gibt es ein paar Fragenpaare an die beiden writer*.

Boxen oder Schreiben?

Schreiben, sagt Takis Würger ohne zu zögern. Mehrere angeknackste Rippen, Nase gebrochen, Kapseln gesprengt und so weiter, außerdem sei er ein schlechter Boxer. Schreiben, das könne er.

BBC Documentary oder Bibliothek?

BBC Documentary leider, sagt Inger-Maria Mahlke und lacht ertappt. (Sie hat übrigens so etwas wie einen historischen Roman geschrieben.) Dann erzählt sie, dass sie manche Dokus als Einschlafhilfe benutzt und deswegen die ersten zehn Minuten auswendig kann.

In beiden Romanen ist die äußere Erscheinung von der Haarfarbe bis zum Stoff der Fliegen sehr wichtig, fast schon politisch und immer strategisch. Tragt ihr heute ein strategisches Kleidungsstück? (Ich wette, die Frage hat sich die Veranstalterin ausgedacht, die eine knallpinke Strumpfhose zu ihren dunklen Klamotten kombiniert.)

Auf jeden Fall, sagt Takis Würger. Diese Mütze hier – er trägt eine dunkelblaue Baseballcap mit einem hellroten C drauf – habe er nur dabei, weil er sich vor einiger Zeit die Haare kurz geschoren hat und die jetzt einfach nicht nachwachsen wollen. Er habe wissen wollen, wie es sich anfühlt, sich einmal komplett die Haare abzurasieren. Im Stillen frage mich, ob das etwas mit seinem neuen Roman zu tun hat oder mit seinem alten. Vielleicht ein bisschen von beidem. Im Laufe des Abends wird er sich noch öfter die Kappe vom Kopf nehmen, sich verstohlen durch die Haare fahren, die Kappe wieder aufsetzen und dann wieder abnehmen.

Inger-Maria Mahlke dagegen ist der Meinung, dass man sich doch immer überlege, was man anzieht und damit jedes Kleidungsstück natürlich auch strategisch sei. Sie für ihren Teil habe ein Outfit gewählt, in dem sie hoffte nett auszusehen. Nett ist tatsächlich das Wort, das sie benutzt und es gefällt mir, weil ich nicht weiß, ob sie damitnett als Charaktereigenschaft oder als äußere Erscheinung meint.

 

Die Lesung: ‚Der Club’ und ‚Wie Ihr wollt’

Takis Würger beginnt aus ‚Der Club’ zu lesen. Sorry, ich seh irgendwie nichts in dem Licht. Ah, Moment… so geht’s. Er liest ein paar stark gekürzte Stellen vom Anfang, die sich gut in einander einfügen. Man bekommt eine Idee von der Schnelligkeit der Handlung und der Eigenart der Sprache. Es sind nur Szenen aus Hans’ Sicht. Ja, es ist logisch, aber es ist auch schade, war es doch die erste Szene aus Alex’ Sicht, die mich damals an dieses Buch gefesselt hat. Einmal lacht das Publikum an einer Stelle, die ich unendlich traurig finde und ich nehme es ihnen übel.

Inger-Maria Mahlke liest – glaube ich – nicht eine Stelle vom Anfang, sondern von der Mitte. Unterbrecht mich einfach, falls es mehr als 15 Minuten werden, sagt sie. Nach ein paar Sätzen bricht sie ab, sie habe vergessen, noch etwas zu erklären. Sie wirkt dabei nicht unvorbereitet, sondern sympathisch und selbstbewusst. Das gesamte Buch besteht aus Tagebucheinträgen und Listen. Zuerst komme ich nicht rein, irgendetwas stört mich am Schreibstil, auch wenn das Thema (es geht die kleinwüchsige Cousine von Queen Elizabeth I, die sich im Hausarrest befindet) eigentlich interessant ist. Die Stimme der Autorin ist beim Lesen fester, weniger dünn und nicht mehr so meckernd wie vorher. Das Buch hat Witz, die Protagonistin einen bösartigen Humor, der mir gefällt. Trotzdem habe ich keine Lust, es zu lesen – es liegt nicht an dir, es liegt an mir.

 

Ich hab original die Frage nicht verstanden

Nachdem beide gelesen haben, gibt es wieder einige Fragen. Habt ihr noch ein paar von diesen Fragenpaaren? Die waren lustig, davon können wir ruhig noch ein paar machen, meint Takis. Leider vergebens. Es wird immer eine Frage an beide writer* gestellt und so eine künstliche Nähe zwischen den zwei Werken hergestellt, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Inger-Maria Mahlke erzählt dazwischen mal, dass sie früher einen Haarschnitt hatte, der sie möglichst unnahbar scheinen ließ, damit sie keine Fragen beantworten müsse. Heute sei sie da entspannter. Ihr Glück.

 

Bei der ersten Frage, die mir schon wieder gänzlich entfallen ist, hört Takis seiner Autoren-Kollegin zu, nickt hin und wieder, scheint in Gedanken versunken. Als er die gleiche Frage beantworten soll, zögert er kurz, beugt er sich ein wenig vor, rutscht unbehaglich auf seinem Stuhl herum, lächelt ein bisschen. Ich hab original die Frage nicht verstanden, sagt er. Wir alle lachen. Insgeheim unterstelle ich ihm, dass er sie sich einfach nicht gemerkt hat. Die Frage wird ihm noch einmal gestellt, er beantwortet sie freundlich.

 

Warum England, hätte der Roman nicht auch woanders spielen können?, ist die Essenz einer weiteren der ausschweifend gestellten Fragen. Beide sind verwirrt. Inger-Maria Mahlke (der Name klingt als Ganzes zu schön, um sie nur beim Vor- oder Nachnamen zu nennen, findest du nicht?) antwortet zuerst. Erstens ginge es in ‚Wie Ihr wollt’ nun mal um die Cousine der englischen Königin und zweitens sei das eigentlich egal, weil der Roman sowieso in einem Zimmer spielt, das ihre Protagonistin nicht verlassen darf. Ich mag diese Frau.

Takis überlegt kurz. Er habe einfach einen Roman schreiben wollen, in dem ein Deutscher nach Cambridge geht, weil es das sei, was er kannte. Generell fiele es ihm leichter, über die Dinge zu schreiben, die er selbst erlebt hat. Im Laufe des Abends erfahren wir, dass er sich wie sein Protagonist auch oft fehl am Platz fühlt, es den besten Freund seines Protagonisten wirklich gibt, die bösen Machenschaften des Pitt Clubs seines Wissens aber nicht.

 

Der Höhepunkt der deppaten Fragen ist dann jene nach dem Verhältnis von Macht und Ohnmacht in den beiden Romanen.Die Frage an sich ist schon schwammig gestellt und braucht mehrere Anläufe, bis sie irgendwie herauskommt. Auch wenn ich ‚Wie Ihr wollt’ nicht gelesen habe, ist mir klar, dass es offensichtlich auch hier genau darum geht – ich mein bitte, it’s the whole point!

Inger-Maria Mahlke antwortet glaube ich sehr diplomatisch, ich passe ehrlichgesagt nicht auf, da ich mich innerlich immer noch über die Frage aufrege. Dann wird es plötzlich still, meine Aufmerksamkeit richtet sich wieder nach vorne. Takis Würger ist an der Reihe und er sagt… nichts. Mittlerweile wissen die Veranstalterinnen/Moderatorinnen, dass er sich manchmal etwas mehr Zeit zum Nachdenken nimmt, bevor er antwortet und schweigen ebenfalls. Die Stille wirkt endlos, das Publikum wird unruhig, er nimmt mal diese Position ein, mal jene, scheint ein wenig mit sich selbst zu kämpfen.

Du musst auch nicht antworten, du darfst ruhig Eigenbrötler sein, sagt schließlich die Frau, die die Frage gestellt hat. Ein bisschen überlegt er noch, dann erzählt er, dass das zwar nicht viele so lesen, aber dass es eine Figur gibt, bei der für ihn am Ende rauskommt, dass sie im Hintergrund alle Fäden in der Hand hält, ohne dass er es beim Schreiben so beabsichtigt hätte. Inwiefern das mit dem Verhältnis von Macht und Ohnmacht zu tun hat, versteht man glaube ich nur, wenn man ‚Der Club’ tatsächlich gelesen hat.

 

Trotzdem eine schöne Lesung

 Alles in allem ist ‚Hauser & Tiger’ ein schönes Format. Zwei writer*, ein bisschen was Persönliches zum Auflockern am Anfang, Büchertipps vom Publikum, die mit dem eventeigenen Cocktail Kurtbelohnt werden, Schnaps zu jedem Buchkauf und die Möglichkeit, mit den writern* bei noch mehr Schnaps zu quatschen – wenn sie denn nach der Lesung noch bleiben. Und ganz ehrlich: Obwohl ich bei jeder zweiten Frage innerlich die Augen verdreht habe, waren sie doch so gestellt, dass die writer* gefordert waren, ein bisschen nachzudenken, von ihren Büchern und sich selbst zu erzählen. Das Tucholsky-Thema zieht sich wie ein unaufdringlicher roter Faden durch die Veranstaltung und sorgt für ein bisschen Abwechslung.

 

Wenn es im September nach der Sommerpause weitergeht, gehe ich vielleicht wieder hin. Willst du mitkommen? Oder hast du einen Tipp für andere Literaturveranstaltungen in Berlin? Schreib mir hier in die Kommentare oder auf Instagram, ich freue mich auf deine Nachricht.

 

*Sorry, mir ist auf Deutsch das Gendern zu blöd.

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